Wochenschau 45: Bundesstaat - Männerstaat?

Frau Voegeli, die Wochenschau interessiert sich nicht für Ihren Hausrat und besucht Sie deshalb an Ihrem Arbeitsplatz, der sich in einer der letzten Männerbastionen der Schweiz befindet. Haben Sie uns da nicht noch eine Kostbarkeit zum Thema Geschlechtergeschichte vorzuführen?

Yvonne Voegeli: Die ETH, in deren Bibliothek ich arbeite, hat nichts gegen Frauen. Als die Universität Ende des letzten Jahrhunderts die ersten Studentinnen aufnahm, öffnete ihnen auch das Polytechnikum, wie die ETH früher hiess, ohne weiteres die Hörsäle. Naturwissenschaft und Technik, die an der ETH gelehrt werden, sind aber genau die Bereiche, in denen Frauen, weil sie als von Natur aus dafür nicht begabt galten, kaum gefördert wurden. Das Interesse an einem ETH-Studium war einerseits bei den Frauen lange Zeit bescheiden. Andererseits hat man(n) an der ETH mit den Frauen ebenso lange nicht gerechnet und auch die stetig wachsende Zahl der Laborantinnen, Sekretärinnen usw. nicht wahrgenommen. So wurden noch in den Siebzigerjahren bei der Planung der neuen ETH Hönggerberg im Architekturgebäude die Damentoiletten schlicht vergessen. Man hat dann schnell auf jeder Etage das Besenkämmerchen der Putzfrauen zum Damen-WC umgerüstet.

In den letzten Jahren hat die ETH-Leitung einiges zur Förderung des weiblichen akademischen Nachwuchses getan. Aber auf den gutbezahlten ordentlichen Professuren sind wegen früherer Versäumnisse nach wie vor verschwindend wenige Frauen anzutreffen. Wegen ihrer Seltenheit sind daher geschichtliche Zeugnisse von ETH-Frauen tatsächlich Kostbarkeiten. Wenn Sie den Link aktivieren, sehen Sie die handgeschriebene  Diplomarbeit von Marie Kowalik aus Russland, die 1877 als erste Frau am Poly ihr Studium abschloss. Weil heute auch noch selten eine Frau die Abteilung für Maschinenbau belegt, blättern wir noch in einem Erinnerungsalbum der Abschlussklasse von 1922. Dort finden wir das hier gezeigte Bild von Hélène Kernen, der ersten Maschineningenieurin der ETH.